Wenn unser schlechtes Gewissen das Kommando übernimmt
Fast alle Kinder alter Eltern berichten vom Moralapostel: Das ungebetene Teufelchen kommentiert unsere Reaktionen und Handlungen. Der humorlose Zeitgenosse neigt zum Mäkeln: So besuchen wir unsere Eltern nicht häufig genug und auf jeden Fall reicht unser Einsatz nicht aus. Wir sollten viel mehr für sie tun und undankbar sind wir zudem.
Offensichtlich scheinen wir die einzigen Rabenkinder zu sein
denn alle anderen unserer Generation opfern sich liebevoll auf. Selbst beschimpft werden wir: als Unmensch und Egoist mit mangelnder Empathie. Unser Moralapostel macht uns Vorhaltungen: Was unsere Eltern alles für uns getan haben und dass sie sich ihre Situation nicht aussuchten, wie wir nur so herzlos sein können, sie ihrem Schicksal zu überlassen, und dass wir sicherlich auch nicht möchten, dass uns so rücksichtslos begegnet wird. Wie wir überhaupt daran denken können, einen Urlaub zu planen und lieber unseren Hobbys nachzugehen, anstatt uns um unsere hilfsbedürftigen Eltern zu kümmern. Und unser hilfloses Argument, unsere Arbeitskraft erhalten zu müssen, wird umgehend als fadenscheiniger Vorwand beiseitegeschoben.
Unser Moralapostel entwickelt sich zum übellaunigen Feind, der uns das Leben schwermacht. Denn nur er als moralische Instanz weiß, was richtig ist.
Wenn der Moralapostel übermächtig wird, haben Kinder kaum eine Chance, Entscheidungen zu treffen, die das eigene Wohl berücksichtigen und Verständnis für die persönliche Situation zulassen. Der Moralapostel vertritt als Anwalt unserer Eltern nur deren Sicht, selbst wenn sie ihn weder engagiert haben noch mit dessen radikalen Meinungen übereinstimmen.
Lesen Sie weiter auf Seite 94 Kapitel II „Kinder alter Eltern: So geht’s uns wirklich“
Kommentare ( 2 )